Richterliche Unabhängigkeit und höchstrichterliche Rechtsprechung

In einem Artikel in Legal Tribune Online (LTO) vom 11.10.2022 wird ein Beschluss des Truppendienstgerichts Süd (Gericht) kritisiert, mit welchem das Gericht die Vollstreckung einer gegen einen Soldaten verhängten Disziplinarbuße vorläufig aussetzte. Der Soldat verweigert den ihm erteilten Befehl, seine Impfung gegen COVID-19 zu dulden. Seine Kompaniechefin verhängte gegen ihn deshalb eine Disziplinarbuße. Gegen diese erhob der Soldat Beschwerde beim Gericht und beantragte, die Disziplinarbuße vorläufig auszusetzen. Dem folgte das Gericht.

Der Autor des Artikels in LTO (Dr. Patrick Heinemann) wirft dem Gericht vor, sein Beschluss sei rechtswidrig. Der Richter missachte die Dogmatik zum "gefährlichen Befehl". Außerdem seien die Rechtsfragen, die der Fall aufgeworfen habe höchstrichterlich (vom Bundesverwaltungsgericht, BVerwG) geklärt. Das Gericht missachte die höchstrichterliche Rechtsprechung.

Dem Vorwurf der Rechtswidrigkeit des Beschlusses tritt Matthias Guericke in einem vom Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte am 15.10.2022 veröffentlichten Artikel entgegen. Guericke meint, Heinemann komme deshalb zu dem Ergebnis, der Beschluss des Gerichts sei rechtswidrig, weil er den Befehl der Kompaniechefin am Maßstab eines "gefährlichen Befehls" misst. Der Befehl müsse aber am Maßstab eines "unzumutbaren Befehls" gemessen werden. Am richtigen Maßstab gemessen sei es nicht ausgeschlossen, dass der Befehl der Kompaniechefin unverbindlich ist und somit vom Soldaten nicht befolgt werden muss. Der Vorwurf, das Gericht missachte die höchstrichterliche Rechtsprechung, laufe schon deshalb ins Leere, weil ein Richter nach dem Grundgesetz nicht an höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden, sondern unabhängig ist (Art 97 Abs. 1 GG). Außerdem hat das BVerwG selbst betont, dass das Bundesministerium der Verteidigung verpflichtet ist, die Aufrechterhaltung der COVID-19-Impfpflicht für Soldaten zu evaluieren, weil Daueranordnungen stets daraufhin überprüft werden müssen, ob sie angesichts veränderter Umstände weiterhin verhältnismäßig und ermessensgerecht sind. Das Gericht sei im konkreten Fall demnach vom BVerwG zur Prüfung aufgerufen gewesen, ob verändert Umstände vorliegen. 


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